Mit Gentherapien zu neuen Behandlungschancen für seltene Erkrankungen
Gezielte Aufklärung, mehr Mut und systematisch erfasste Erfahrung sind entscheidend, damit Gentherapien ihr volles Potenzial bei seltenen Erkrankungen ausschöpfen können.
Wien, 15. Mai 2025 – Gentherapien eröffnen vielversprechende neue Optionen für die Behandlung seltener Erkrankungen. Gleichzeitig ist es wichtig, die Erwartungen realistisch zu halten. Beim 17. Rare Diseases Dialog der PHARMIG ACADEMY in der Wiener Urania wurde intensiv diskutiert, wie Gentherapien funktionieren, was sie besonders macht und wie das Potenzial, das sie in der Behandlung seltener Erkrankungen bieten, tatsächlich voll ausgeschöpft werden kann.
„Die Gentherapie erfüllt genau die Hoffnung, die viele Menschen an moderne Medizin haben. Sie behandelt die Erkrankung möglichst nahe an ihrer Ursache, statt bloß Symptome zu lindern. Dabei ist es wichtig, Missverständnisse und falsche Erwartungen zu vermeiden“, erklärte Martin Moder, PhD, Molekularbiologe und Science Buster im Rahmen der Veranstaltung. Umso wichtiger sei es, die Öffentlichkeit umfassend zu informieren: „Die Neuartigkeit und das Wirkprinzip von Gentherapien erzeugen bei manchen Menschen Unsicherheit und Angst. Zudem gibt es eine allgemeine Wissenschaftsskepsis, die in Österreich besonders stark ausgeprägt ist. Dieser kann man nur mit gezielter Aufklärung entgegenwirken“, so Moder, der regelmäßig mit den Science Busters auf Bühnen, im Fernsehen und in Podcasts auftritt und dabei wissenschaftliche Themen auf humorvolle und verständliche Weise erklärt.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Richard Greil, ehem. Vorstand der Uniklinik für Innere Medizin III am Universitätsklinikum Salzburg und Leiter fünf verschiedener Forschungsgesellschaften, weist auf grundsätzliche strukturelle und kulturelle Herausforderungen beim Einsatz von solchen innovativen Therapien hin: „Österreich hat ein kulturelles Problem mit Innovation und Innovatoren, Wissenschaft und Technologie. Der gesellschaftlichen Gestaltungskraft von Erneuerung wird große Skepsis statt Grundvertrauen entgegengebracht. Es besteht eine breite Konvergenz zur Mitte. Die Kraft der Innovation für Lebens- und Gesundheitsgestaltung wird kaum anerkannt. Im Gesundheitsbereich hemmt das System der Kostenzählung die Einstellung, zermürbt Ärzte und bremst Leistungsentwicklung. Die langfristige volkswirtschaftliche Perspektive des Nutzens, den diese vielversprechenden und sehr spezifischen Gentherapien für Patientinnen und Patienten stiften, wird oft ausgeblendet. Um sich dem entgegenzustellen, braucht es daher sehr viel Courage verantwortlicher Ärzte, aber auch eine gesellschaftliche Beflügelung der Begeisterung zur Innovation.“
Martina Rötzer, im familiären Umfeld von der Nervenkrankheit Spinale Muskelatrophie (SMA) betroffen und Obfrau der SMA Patientenvertretung Österreich, betonte: „Viel Mut und Kraft sind absolut entscheidend, ebenso wie die Notwendigkeit umfassender Informationen für Betroffene. Als Mutter von Kindern, die an einer seltenen Erkrankung leiden, kann ich nur sagen, dass der Einsatz solcher Therapien lebensverändernd und der Faktor Zeit essenziell ist. Eine frühe und richtige Diagnose und die rasche Anwendung der Therapie sind entscheidend, um das volle Potenzial solcher Therapien ausschöpfen zu können. Dazu bedarf es ebenso frühzeitig der Klärung der Finanzierung österreichweit. Um die Akzeptanz und das Vertrauen in diese neuen Therapien zu erreichen, ist es wichtig, dass Informationen dazu von vertrauenswürdigen Quellen bereitgestellt werden. Es muss unter der Ärzteschaft und im Gesundheitssystem breit bekannt sein, welche Möglichkeiten bestehen, damit Patientinnen und Patienten oder Angehörige wie ich davon Kenntnis haben und rechtzeitig handeln können.“
Prof. Priv.-Doz. Dr. med. univ. Markus Ritter, Leiter der Spezialambulanz für erbliche Netzhauterkrankungen an der Medizinischen Universität Wien, berichtete ebenfalls von sehr positiven Erfahrungen mit Gentherapien im Spitalsalltag. Auch er weist darauf hin, wie wichtig es, ist, dass Patientinnen und Patienten Zugang zu innovativen Gentherapien erhalten, sobald diese verfügbar sind: „Viele Betroffene haben bereits lange Wege hinter sich. Es ist wichtig, entsprechende Datenerfassungssysteme aufzubauen und Patientinnen und Patienten rechtzeitig zu identifizieren.“ Denn auch wenn eine vollständige Heilung oft nicht möglich ist, können Gentherapien die Lebensqualität und Selbstständigkeit erheblich verbessern. Für erbliche Netzhauterkrankungen spielen beispielsweise über 300 Gene eine kausale Rolle. Dazu Ritter: „Nicht für jeden Gendefekt wird es eine spezifische Gentherapie geben können. Es gibt aber viele Ansatzmöglichkeiten. Wir müssen die wissenschaftliche Entwicklung genau beobachten und nationale Register aufbauen, zu denen Ärzte und Forscherinnen Zugang haben. Um die Entwicklung weiterer Therapien voranzubringen, langfristige Wirksamkeit zu beurteilen und den therapeutischen Erfolg zu messen, muss entsprechende Forschung und Datenerfassung auch gefördert werden.“
Jean-Paul Pfefen, Global Development Leader bei Hoffmann-La Roche, sprach über die Herausforderungen bei der Entwicklung von Gentherapien und betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Patient:innenorganisationen: „Eine der Schwierigkeiten bei der klinischen Entwicklung seltener Krankheiten, insbesondere bei Gentherapien, ist die Verfügbarkeit angemessener externer Kontrolldaten von Patienten, um den langfristigen Behandlungseffekt zu bewerten. Außerdem ist die begrenzte Verfügbarkeit von Instrumenten zur Beurteilung der Wirkung, insbesondere über kurze Beobachtungszeiträume, eine Herausforderung bei der Bewertung der potenziellen Wirksamkeit einer Gentherapie oder einer anderen Therapie zur Behandlung seltener Krankheiten. Neben der engen Zusammenarbeit mit den Ärzten ist die Beteiligung von Patientenorganisationen essenziell, um die Chancen für ein erfolgreiches klinisches Programm zu erhöhen, das die Einreichung eines Registrierungsdossiers bei den Gesundheitsbehörden ermöglicht.“
„Die Outcome-Forschung ist in der Gentherapie entscheidend, um den tatsächlichen Nutzen und die Sicherheit zu bewerten“, erklärte Univ.-Prof. Mag. Dr. Tanja Stamm, PhD, MSc, MBA, Head of the Institute for Outcomes Research an der MedUni Wien, und ergänzte: „In Österreich gibt es bereits Aktivitäten, doch es besteht noch Ausbaupotenzial, insbesondere durch stärkere internationale Zusammenarbeit und bessere Infrastruktur. Diese Forschung stärkt das Vertrauen in Gentherapien und fördert die Entwicklung neuer Therapien. Für hohe Qualität sind gut ausgestattete Zentren, klare Rahmenbedingungen und enge Kooperationen notwendig. Im Bereich seltener Erkrankungen ist der internationale Austausch besonders wichtig, um Wissen, Daten und Erfahrungen zu bündeln und Innovationen voranzutreiben. Insgesamt ist eine stärkere Vernetzung auf globaler Ebene essenziell für Fortschritte.“
Rückfragehinweis
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