Amerika zeigt Europa in Sachen Arzneimittelpreise die kalte Schulter
Die globale pharmazeutische Industrie hat vom amerikanischen Markt gelebt – nur mit den US-Erlösen konnte sie ihren Forschungsaufwand stemmen. Die Europäer haben sich beim Bezahlen von innovativen Medikamenten zurückgehalten. Diese einseitige Lastenverteilung kommt jetzt unter Druck: Präsident Trump verlangt ultimativ drastische Preissenkungen. Der Stil ist typisch, die Methoden werden kritisiert. An der Kernfrage ändert das nichts: Wer zahlt künftig für Innovationen?
Aus: PHARMIG info 2 / 2025
Anfang August kam Post aus dem Weißen Haus, adressiert an 17 Pharmaunternehmen. Darin tat US-Präsident Donald J. Trump seinen Unmut kund: Er habe es jetzt lange genug im Guten versucht. Die Preise, die die Branche am amerikanischen Markt verlange, seien viel zu hoch. Damit würden amerikanische Patient:innen und Steuerzahler:innen nur „Sozialismus“ in anderen Staaten subventionieren. Diese Staaten seien Trittbrettfahrer: Sie würden medizinische Inno-
vationen, die mit den hohen Preisen am US-Markt finanziert wurden, ohne angemessenen eigenen Beitrag in Anspruch nehmen.
Auf eine Executive Order, in der dieses Thema schon am 15. Mai angegangen sei, habe die Industrie nur mit Ausreden reagiert und mit dem Finger auf andere gezeigt. Damit sei jetzt Schluss. Er wolle Resultate. Die Pharmafirmen müssten liefern, und zwar pronto.
Das Trump’sche Wutschreiben hat viele Aspekte. Der vermutlich wichtigste für die Empfänger: Es ist bitterernst gemeint. Wenn die Firmen nicht demnächst handeln, richtete er ihnen aus, werde seine Regierung „alle Mittel in ihrem Arsenal einsetzen, um amerikanische Familien vor einer
missbräuchlichen Preispolitik zu schützen“.
Diesmal brachial
Verfassungsrechtlich war das nicht besonders elegant formuliert. Denn ein Präsident hat nur begrenzt Möglichkeiten, die Arzneimittelpreise im Land festzulegen. Aber darum ging es wohl gar nicht: Schon 2020, in seiner ersten Amtszeit, hat Trump versucht, die angeblich überzogenen Arzneimittelpreise einzubremsen. Damals war er im Dickicht des amerikanischen Gesundheitswesens und diverser rechtlicher Einsprüche hilflos stecken geblieben. Diesmal hält er sich erst gar nicht mit Paragrafen auf. Diesmal verlegt er sich auf Drohungen.
Trump verlangt: Wenn Pharmafirmen Medikamente in den USA verkaufen wollen, dann nur noch zu Preisen, die auch in anderen Staaten verlangt werden („Most Favoured Nation Pricing“). Welche Staaten hier die Referenzpunkte sind, steht nicht im Brief. Länder, mit denen sich die USA in Sachen Arzneimittelpreise vergleichen, sind aber üblicherweise die EU, die noch heterogeneren 38 Mitglieder der OECD oder aber eine Auswahl führender Industrienationen wie die G7 (dazu gehören außer den USA Deutschland, England, Frankreich, Italien, Japan und Kanada).
Konkrete Rundumschläge
Der Brief enthält Rundumschläge, einige Punkte sind dagegen konkret und fokussiert: So verlangt Trump MFN-Preise zunächst nur für Medicaid. Das ist die steuerfinanzierte Krankenversicherung für Bedürftige. Sie erstattete im Jahr 2023 Medikamente für 51 Milliarden Dollar. (Medicare dagegen ist eine Krankenkasse v. a. für Pensionist:innen, finanziert aus Pflichtbeiträgen und staatlichen Zuschüssen. Arzneimittel-Erstattung 2023: 145 Milliarden Dollar.) Und sie sollen für „neue“ Medikamente gelten.Die Einwände kamen prompt. Faktenchecker:innen wiesen etwa darauf hin, dass man Preise – wie Trump in Interviews vorgerechnet hatte – nicht um „1.500 %“ senken kann. Arithmetisch richtig, als Argument nicht so relevant. Kritik am Konzept des Most Favoured Nation-Pricing kam von vielen Seiten. Der Ansatz bietet in der Tat Angriffs-fläche (siehe Kasten MFN). Unklar ist aber, wie ernst es Trump damit überhaupt ist. Manche vermuten, dass er darin vor allem ein probates Instrument sieht, mit dem er Druck auf Pharmaunternehmen ausüben kann.Kaum hinterfragt wurde die Grundlage des Briefes, dass nämlich die Arzneimittelpreise der USA so unvergleichlich über denen anderer Länder liegen. Stimmt das überhaupt? Die Antwort ist eindeutig: Jein.
Günstig und innovativ
Denn die USA haben eigentlich zwei Marktsegmente, die sich grundlegend unterscheiden. Das geht zurück auf den Hatch-Waxman-Act von 1984. Mit diesem (parteiübergreifenden) Gesetz wurde eine aufstrebende Generikaindustrie geschaffen. Sie sollte durch freien Wettbewerb für preisgünstige Medikamente sorgen. Nachahmerprodukte mussten Sicherheit und Wirksamkeit eines patentfrei gewordenen Wirkstoffs nicht ein weiteres Mal mit teuren Studien nachweisen. Im anderen Segment dagegen sollten Unternehmen ihre gewaltigen Investitionen in die Forschung verdienen können, indem ihre Entwicklungen durch Patente geschützt blieben. Ziel war Innovation und medizinischer Fortschritt. Geschäftsgrundlage waren hohe Preise – befristet, bis nach Ablauf des Patentschutzes die generische Konkurrenz einsetzen würde.
Daher die Antwort „Jein“: Ja, innovative, patentgeschützte Medikamente sind in den USA teurer als in anderen Ländern. Und Nein, Generika kosten weniger als anderswo.