Goodbye UK!

Am 23. Juni 2016 war es soweit: Damals stimmten rund 52 % der Briten für ein Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU. Der Brexit wurde beschlossen. Doch wenn ein Land nach 45 Jahren die EU verlässt, dann bedeutet das jede Menge Veränderungen. Die Übersiedlung der der europäischen Arzneimittelbehörde von Großbritannien nach Niederlande ist nur eine davon.
Bis heute stellen sich noch unzählige offen Fragen. Diese betreffen auch die Pharmawirtschaft – forschende und herstellende Unternehmen, Vertriebsniederlassungen und Zulieferer. Die wichtigste aller Fragen wird dabei von Patienten gestellt. Sie lautet: „Werden meine Medikamente auch nach dem Brexit in Österreich erhältlich sein?“
Welche Optionen der Brexit für die Arzneimitteversorgung in Österreich und Europa bedeutet, lesen Sie hier.
Nebenwirkungen: Das macht den Brexit zum Gesundheitsrisiko
Der EU-Austritt bedeutet, dass die Briten aus allen gemeinsamen Institutionen und Systemen ausscheiden. Das macht eine Neuordnung der Zusammenarbeit zwischen Arzneimittel- und Gesundheitsbehörden notwendig.
England wird wahrscheinlich die europäische Arzneimittelbehörde EMA verlassen. Unklar ist, wie das Vereinigte Königreich die Zulassungen von Arzneimitteln, für die die EMA unter anderem zuständig ist, in Eigenregie nachvollziehen, übernehmen oder durchführen wird.
Besonders wissenswert ist: Labors im Königreich führen laufend Freigabe-Tests für 1.300 Medikamente durch. Bisher waren diese Tests EU-weit gültig – einer der unzähligen sehr konkreten Synergieeffekte der Union.
Aber auch für andere Melde- und Überwachungsmechanismen wird der Brexit zum Experiment am lebenden Organismus. Probleme wie z.B.: ansteckende Krankheiten, gefälschte Arztdiplome oder gefährliche Lebensmittel erfordern geeignete Maßnahmen in ganz Europa. EU und Großbritannien haben vereinbart, diese Fragen bis Ende 2020 zu lösen.
Wirtschaftsmotor: So wichtig ist UK für Europas Pharmawirtschaft
Großbritannien ist ein wichtiger Player in der Arzneimittelproduktion und Qualitätskontrolle. Die britischen und europäischen Institutionen der Arzneimittelregulierung sind eng verflochten. Mehr als 2.600 Medikamente werden in Großbritannien hergestellt. Dabei werden 45 Millionen Arzneipackungen jeden Monat für Patienten in die EU 27 geliefert. Die Briten wiederum beziehen 3.200 verschiedene Arzneimittel aus der EU und importieren monatlich 37 Millionen Packungen. Diese Wirtschaftsbeziehungen werden durch den Brexit erschwert.
Deal or no-deal: Europas Pharmaindustrie sorgt für 500 Mio. Menschen vor
Patients first: Für die Pharmaunternehmen ist es wichtig, den Arzneimittelmarkt zwischen Großbritannien und der EU im Sinne der Patienten zu regeln. Die im EU-Rat beschlossene Übergangsfrist bis Ende 2020 soll ein geordnetes Ausscheiden aus allen Regularien und Institutionen der EU ermöglichen.
Betroffen sind über 500 Mio. Menschen, die auch nach dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU ein Recht auf die beste medizinische Versorgung und auf einen frühen Zugang zu innovativen Arzneimitteln haben.
Offene Fragen: Mit diesem Plan will Europas Pharmaindustrie die Medikamentenversorgung sichern
Die Pharmaindustrie trifft umfangreiche Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Medikamenten.
Damit ein Unternehmen ein Arzneimittel in der EU überhaupt vermarkten kann, müssen gemäß EU-Recht der Zulassungsinhaber, die sachkundige Person für Pharmakovigilanz (Arzneimittelsicherheit), die Pharmakovigilanz-System-Masterfiles und bestimmte Fertigungsstandorte im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässig sein.
Das bedeutet, dass Unternehmen als Folge des Brexits zahlreiche regulatorische Schritte unternehmen müssen. Dazu gehört beispielsweise,
- sich einen Überblick zu verschaffen, welche Produkte in UK betroffen sind,
- welche Zulassungen übertragen werden müssen,
- wo die Freigabe der Herstellungschargen erfolgen muss und
- wie die europäischen Regelungen auf die Lieferkette umgelegt werden können.
Kurz gesagt: Zu klären sind also Details zur gegenseitigen Anerkennung von Arzneimittelzulassungen bzw. Reglementierungen, zur Arzneimittelsicherheit und -überwachung sowie der Handel mit Arzneimitteln und Medizinprodukten.
Um die Verkehrsfähigkeit von Produkten in der EU weiter abzusichern, müssen Unternehmen
- die Zulassung in einen der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten übertragen
- bestimmte Produktionsstätten verlagern
- eine neue sachkundige Person für Pharmakovigilanz (QPPV) ernennen
- ihre Pharmakovigilanz-System-Masterfiles (PSMF) verlagern
- und/oder die Logistik und Lieferkette anpassen.
Medikamente: Sind Lieferengpässe in der EU zu befürchten?
Für den größten Teil der fast 700 zentralen Zulassungen (CAPS) für Human- und Tierarzneimittel wurden bereits notwendige regulatorische Schritte unternommen. Ausständig waren Ende September 2018 noch 39 CAPS, deren Verfügbarkeit in Europa durch den Brexit bedroht sein könnte.
Wenn Sie wissen möchten, ob Ihr Arzneimittel betroffen ist, wenden Sie sich an den pharmazeutischen Hersteller, der auf Ihrem Medikament vermerkt ist.
Laut einem offiziellen Statement des britischen Gesundheitsministers Matt Hancock ist allerdings ein Mangel an Arzneimitteln auch im Falle eines "No Deals" unwahrscheinlich.
Brexit-Vorbereitungen: Österreichische Behörde und Pharmaunternehmen sind in enger Abstimmung
Um die bestmögliche Versorgung der Patienten in Österreich mit Medikamenten sicherzustellen, führen die ansässigen Pharmaunternehmen eine fundierte Risikoabschätzung in enger Abstimmung mit dem BASG (Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen) durch. Weiterführende Informationen zu den regulatorischen Herausforderungen des Brexit finden Sie unter dem folgenden Link des BASG: Auswirkungen auf Zulassungsinhaber und Behörden
Offener Ausgang: Gemeinsame Forschung von UK und EU steht auf dem Spiel
Die EU und das Vereinigte Königreich haben als gemeinsame Partner viele Durchbrüche in der Grundlagenforschung und in klinischen Prüfungen geschafft. Wie die Durchführung klinischer Prüfungen nach einem Brexit aussehen wird, ist zum aktuellen Zeitpunkt noch völlig offen. Für Europa lautet das Ziel, jedwedes Engagement in der Arzneimittelentwicklung durch einen Brexit nicht zu gefährden.
Gesichert: Medizinprodukte weiterhin verfügbar
Großbritannien erkennt für den EU-Markt zugelassene Medizinprodukte und die CE-Kennzeichnung an. Sollte sich dies in naher Zukunft ändern, wird den Unternehmen ausreichend Zeit eingeräumt, um die neuen Anforderungen umzusetzen.
Großbritannien wird alle wichtigen Elemente der Medizinprodukteverordnung und der In-vitro-Diagnostikverordnung einhalten, die in der EU ab Mai 2020 bzw. 2022 gelten werden. Die formelle Präsenz des Vereinigten Königreichs in EU-Ausschüssen für Medizinprodukte wird allerdings eingestellt.