Das werden die Patienten spüren

Die Briten horten bereits Medikamente – und belasten die Versorgung damit zusätzlich. Ihr Gesundheitsminister mietet Kühlhallen und hat sogar ein Flugzeug bereitstehen, damit Patienten auch nach dem EU-Austritt sicher ihre Medikamente bekommen.
„Durch den Brexit bin ich zum weltgrößten Einkäufer von Kühlschränken geworden.“
- Matt Hancock, Secretary of State for Health and Social Care
Matt Hancock, der englische Gesundheitsminister, hat den Humor nicht ganz verloren – trotz Brexit-Chaos. Der nicht ganz so lustige Hintergrund seines Sagers: Wenn das Königreich Ende März die EU ohne klare Abmachungen verlässt, könnte es zu kilometerlangen Staus an der Grenze und zu Verzögerungen bei der Zollabfertigung kommen. Auch für Medikamente.
Wenn jeder Lkw wegen der neuen Abfertigungsformalitäten nur zwei Minuten länger an der Grenze steht, kann das summiert zu massiven Verzögerungen führen.
Der Minister hat daher schon im Spätsommer des vergangenen Jahres Pharmaunternehmen in einem Schreiben aufgefordert, Vorräte für mindestens sechs Wochen anzulegen. Das ist leichter gesagt als getan: Denn Arzneimittel kann man nicht einfach in x-beliebigen Lagerhallen stapeln, aus denen mit dem Gabelstapler schnell einmal Paletten mit Dosenbier oder Katzenstreu ausgeräumt wurden. Lager für Medikamente müssen strengen regulatorischen Anforderungen entsprechen. Das muss geprüft und den Behörden gemeldet werden.
Das ist die bürokratische Seite. Dazu kommt, und das führte zu Hancocks Kühlschrank-Sager, dass viele Medikamente nur gekühlt lagerfähig sind. Der Minister muss sich daher auch um ausreichend Kühlkapazität kümmern. Etwa 15 Millionen Euro werden die Kühllager kosten.
Doch wenn Medikamente und andere medizinische Produkte nur Tage oder Wochen haltbar sind, helfen auch Lager nicht. Hancock hat daher ein eigenes Flugzeug gechartert. Im Fall massiver Grenzkomplikationen will er damit lebensnotwendige und nur wenige Tage haltbare Präparate – etwa Radioisotope für Krebspatienten – innerhalb von Stunden einfliegen.
Die Idee, größere Vorräte anzulegen, ist an sich nicht schlecht – viele Firmen hatten genau das längst vorbereitet. Aber auch Apotheker haben angefangen, sich mit wichtigen Medikamenten zu bevorraten. Wenn sich großflächig alle an der Lieferkette Beteiligten nicht mehr auf eine reibungslose Belieferung verlassen und eigene Lager anlegen, kann genau das die befürchteten Engpässe noch verschärfen.
Bei einem ungeregelten Brexit, wenn zwischen EU und Großbritannien nur die Regeln der WTO gelten, werden Medikamente wahrscheinlich teurer. Genau wie Medizinprodukte, aber auch der Einkauf für die Krankenhausküchen und vieles mehr: Mehr Bürokratie, neue Handelshemmnisse und andere Brexit-Faktoren könnten so das britische Gesundheitssystem NHS bis 2020 mit 2,5 Milliarden Euro belasten, schätzt der Nuffield Trust, ein auf Gesundheit und Life Sciences spezialisierter Thinktank.
„Das sind keine Einmalkosten“, sagt Mark Dayan, der die finanziellen Auswirkungen auf das NHS für den Nuffield Trust untersucht hat. „Solange die Handelsbedingungen bestehen bleiben, werden auch die Kosten anfallen.“ Die Zusatzbelastung wird dann alles verschlingen, was das NHS in den nächsten Jahren zur Verbesserung der Patientenversorgung budgetiert hat. Auch ein 100-Milliarden- Budget wie das des NHS könne Milliarden an Brexitkosten nicht wegstecken, „ohne dass die Patienten das zu spüren bekommen“, meint Dayan.